von Ronin am Di, 29.03.2005, 9:52
Die HK-Laserdisc ist auch ungeschnitten. Der Film selbst ist unbedingt empfehlenswert.
Hier meine Kritik aus Burning Paradise:
SHALL WE DANCE?
Originaltitel: SHALL WE DANSU? Japan, 1996
Regie: Masayuki Suo
Produzenten: Shoji Masui und Yuji Ogata
Drehbuch: Masayuki Suo
Kamera: Naoki Kayano
Musik: Yoshikazu Suo
Besetzung: Koji Yakusho, Tamiyo Kusakari, Naoto Takenaka, Eriko Watanabe, Akira Emoto, Masahiro Motoki, Misa Shimizu, Hideko Hara
Laufzeit: jap. Fassung 136min., US-Fassung 118 min.
Der Chefredakteur dieses Magazins und damit die leuchtende Sonne der asiatischen Filmwelt, weiser Lehrer und oberster Führer der Redaktionsmannschaft, unser vom ganzen Filmvolk geliebter Comrade Helmut Krutsch, bat mich um eine Besprechung von SHALL WE DANCE?. Der geneigte Leser hat genügend Yakuzafilme gesehen, um zu wissen, was eine solche "Bitte" bedeutet. Gut denn, sei's drum!
Bis zum Auftauchen von PRINCESS MONONOKE erfolgreichster japanischer Film aller Zeiten, erstmals in Japan die magische Grenze von US-$100.000.000 als Einspielergebnis überschritten, alle (!!!) 13 japanischen Oscars 1996 abgeräumt, sehr erfolgreich in Cannes 1996 und sogar in Yankeeland, wo der Film über US-$10.000.000 einspielte, was nur sehr wenigen ausländischen Filmen gelingt.
Beeindruckend! Und dabei fliegt in dem ganzen Film kein Haus in die Luft, kein Auto wird zu Schrott gefahren, es fällt kein Schuß und eine nackte Frau ist auch nirgendwo zu sehen. Stattdessen geht es um Gesellschaftstanz. Die Geschichte ist nicht aufregend, Kameraexzesse im Stile Christopher Doyles sucht man vergebens und ein konventionelles Happy End fehlt (außer im richtigen Leben, da heiratete der Regisseur seine Hauptdarstellerin, was seinen guten Geschmack beweist).
Man wundert sich deshalb: Wie konnte der Film so erfolgreich sein? Da ist das bis in alle Nebenrollen hinein hochklassig besetzte Schauspielerensemble zuerst zu nennen. Koji Yakusho als der klassische salariman, ein Firmenangestellter mit Frau und Tochter, hypothekenbelastetem Vorstadthäuschen, abendlichen Baraufenthalten mit den Kollegen der Firma und einem restlos vorgezeichneten Leben fährt wie üblich mit der U-Bahn nach Hause und entdeckt am Fenster einer Tanzschule eine wunderschöne Frau (Tamiyo Kusakari), die aus dem Fenster blickt. Er ist fasziniert und will sie kennenlernen, obwohl er glücklich verheiratet ist und im Grunde gar nicht weiß, warum er sich von ihr angezogen fühlt. Er schreibt sich für einen Tanzkurs ein und trifft auf ein Sammelsurium an Charakteren. Der Winzling mittleren Alters mit Vorkenntnissen, der dicke Neuling, der auf Anraten seines Arztes gekommen ist, die Leiterin der Tanzschule, eine gütige ältere Dame, eine vor Lebenslust sprühende, leicht füllige Witwe. Zu seiner größten Überraschung trifft er auch den Arbeitskollegen Aoki (Naoto Takenaka, der japanische Jordan Chan), über den sie sich in der Firma lustig machen, er ist dem Tanzsport verfallen und mimt in seiner Freizeit mit Rüschenhemd und aberwitziger Perücke den japanischen Super - Macho - Tangotänzer, völlig überdreht, immer auf der Suche nach seiner Traumpartnerin. Und da ist sie, SIE, die einzigartige, bezaubernde, wunderschöne, unnahbare, kühl abweisende, sichtlich vom Betrieb gelangweilte, geheimnisvolle Mai!!!!
Anders als in vielen Filmen sind auch alle anderen Nebenrollen überzeugend besetzt und voll entwickelt: Ehefrau Hideko Hara, die glaubt, daß ihr Mann sie betrügt und einen Privatdetektiv beauftragt. Dieser wandelt sich im Verlauf des Films vom abgeklärten Kenner aller Ehedramen und Verächter europäischer Tanzkunst ("Tanzen ist nichts für den Körper eines Japaners!") in einen begeisterten Fan, der zum Schluß enthusiasmiert mitgeht (wohlgemerkt, japanisch enthusiasmiert, äußerlich bewegt sich kein Gesichtsmuskel...).
Weiter ausschlaggebend ist der schlichte und gänzlich unprätentiöse Regiestil von Masayuki Suo. Schlichter Regiestil kann gähnende Langeweile und fehlende Inspiration bedeuten, aber auch bewußte, weil sinnvolle Zurückhaltung und fein austariertes Zusammenspiel von Kamera, Dramaturgie, Schauspielerführung, Schnitt und Musik. Und genau das schafft Suo hier und erreicht damit von Beginn an eine wunderbar gelöste Atmosphäre, die er fast bis zum Ende durchhalten kann. Und das ist etwas, was nur selten gelingt. Gott sei Dank kriegen sich die Hauptdarsteller am Ende nicht, seine Ehe ist und bleibt intakt und Mai hat wieder Freude am Tanzen gefunden. Der weitere Weg der Protagonisten wird nur angedeutet und ist ohnehin nicht Anliegen des Films.
Jetzt wird der phänomenale Erfolg in Japan klar. Millionen von Japanern möchten wenigstens einmal aus ihrem täglichen Leben und den in diesem Land ganz besonders ausgeprägten gesellschaftlichen Konventionen ausbrechen, ihren Traum von einem Stück Freiheit verwirklichen, nicht immer nur als Mitglied einer Gruppe existieren. Dieser Film zeigt, daß es möglich ist, daß sie sich dieses Traums nicht zu schämen brauchen und daß man dazu kein Reinhold Messner oder James Dean sein muß. Jeder kann es in seinem Leben, er muß nur wollen. Der erste Schritt ist immer der Schwerste.
Fazit: 120 Millionen Japaner können nicht irren! Pflichtprogramm!
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